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Ugly Labelling

Auch "hässliche" Lebensmittel können schmecken. Dieses spannende Interview im "Das Magazin" ist in der März Ausgabe 2022 erschienen:

Siddhanth Mookerjee, Sie sind Marktforscher an der Universität von British Columbia in Vancouver und haben untersucht, welche Rolle das Erscheinungsbild von Obst und Gemüse für das Kaufverhalten spielt. Mit welchem Ergebnis? Konsumenten glauben, dass Waren, die sie als unattraktiv empfinden, schlechter schmecken und ungesünder sind als solche ohne Makel. Das führt dazu, dass Naturprodukte mit «Fehlern» nicht gekauft werden.

Von was für «Fehlern» reden wir da – Äpfeln mit Wurmlöchern? Nein, es reicht viel weniger. Gurken etwa, wenn sie leicht gekrümmt sind. Gerade Salatgurken werden als wohlgeformt und normal empfunden, krumme Gurken als deformiert. Dasselbe gilt für Äpfel, wenn die grüne oder rote Färbung nicht makellos ist. Weil aus diesen Gründen Früchte und Gemüse liegen bleiben, werden allein in der Schweiz jedes Jahr 1,7 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet.

Um das zu verhindern, haben Sie einen verblüffenden Vorschlag gemacht: Geschäfte sollten Obst und Gemüse, das von der Idealnorm abweicht, als «hässlich» etikettieren. Was bringt das? Wir nennen es «Ugly Labelling». In einer gross angelegten Studie haben wir gezeigt, dass es genau deshalb funktioniert, weil man den vermeintlichen Makel nicht verschweigt, sondern die Konsumenten explizit darauf hinweist. «Hässlich» bedeutet ja, dass der «Fehler» ein ästhetischer ist. Damit signalisiert man dem Käufer, dass der Makel sich nur auf das Äussere bezieht.

Die Konsumentin hinterfragt also ihre Vorurteile? Genauso. Denn wenn man einmal darüber nachdenkt, gibt es natürlich überhaupt keinen Grund, dass Obst und Gemüse, das nicht perfekt aussieht, weniger schmackhaft oder ungesünder ist. Das «Ugly Labelling» baut Vorurteile ab. Das deckt sich auch mit der Literatur zur Sozialpsychologie auf anderen Gebieten. Die meisten Händler folgen der intuitiven Strategie, dass es besser sei, Fehler zu verschweigen oder für das Gemüse freundlichere Umschreibungen wie «unperfekt» zu finden. Aber das funktioniert überhaupt nicht.

Wie verhält sich denn die Bio-Kundschaft zu Gemüsen mit optischen Macken? Greifen die eher zu? Aus der Erfahrung würde man sagen, dass Menschen, die Bio kaufen, Abweichungen bei Naturprodukten eher akzeptieren. Unsere Studie zeigte aber, dass es da nur um Nuancen geht. Denn selbst Leute, die auf dem Markt einkaufen, entscheiden sich für attraktive Produkte, bei ihnen funktioniert «Ugly Labelling» ganz genauso. Das heisst, grundsätzlich gibt es bei Bioprodukten gar keine Unterschiede im Konsumentenverhalten.

Könnte man «Ugly Labelling» auch in anderen Bereichen anwenden? Würden Menschen, die äusserlich nicht den Schönheitsidealen entsprechen, auf Dating-Portalen leichter einen Partner finden, wenn sie sich als hässlich bezeichnen? Da habe ich meine Zweifel. Man könnte zwar sagen, dass es jemanden authentisch und souverän wirken lässt, wenn er oder sie auf eigene Schwächen hinweist; man könnte es aber auch als Zeichen für ein geringes Selbstwertgefühl deuten. Das Muster lässt sich also nicht so einfach generalisieren und auf Menschen anwenden, da sind die Beziehungen komplexer. Im Marketing funktioniert die Methode aber durchaus in anderen Bereichen. Die Kleidermarke Ugly Label stellt extra hässliche Pullis her. Ihre Markenbotschaft ist genau die beschriebene Strategie, Vorurteile abzubauen.

Und welchen Effekt könnte Ihre Methode zur Vermeidung von Food-Waste haben? Unser Ansatz ist nicht die Lösung zu allen Problemen, aber mir gefällt daran, dass es ein sehr einfaches und günstiges Mittel ist, für das man keine grosse Aufklärungskampagne braucht. Meine Hoffnung ist, dass die Leute mehr unattraktives Gemüse kaufen und sich mit der Zeit die Normvorstellungen verändern. Dafür sollten möglichst viele Händler die Methode umsetzen – und vielleicht müssen sie das bald auch, denn einige Länder machen bereits konkrete Vorgaben, Food-Waste zu reduzieren.

Wie hat Ihre Recherche Ihr eigenes Konsumverhalten verändert? Ich habe sehr viele Jahre mit dieser Recherche verbracht. Mit dem Ergebnis, dass ich einerseits noch viel mehr auf die Schönheit von Äpfeln und Gurken achte. Gleichzeitig kaufe ich aber bewusst hässlich.

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Bilder © / Pat Lerch / Nutriswiss

Interview im "Das Magazin" mit freundlicher Genehmigung von Tamedia AG

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